Fragen, die Trainern beim Erstellen eines Trainingsplans sehr häufig gestellt werden, sind:
„Wie soll ich steigern?“ beziehungsweise „Wann soll ich steigern?“
Hast auch du bereits einem Coach oder dir selbst diese Fragen gestellt? Wenn ja, dann gratulieren wir dir – du hast eines der wichtigsten Trainingsprinzipien verstanden!
Und zwar das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung. In Anlehnung an Henry Ford gilt: „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“
Für unseren Körper bedeutet dies, dass wir fortwährend höhere oder andersartige Reize benötigen, damit sich körperliche Strukturen anpassen können. Bliebe man immer beim gleichen Training, ohne zu steigern, würden sich die Muskulatur, etwas zeitverzögert die Sehnen und schließlich auch die Knochen zwar anfangs bis zu einem gewissen Grad anpassen. Nach einer gewissen Zeit würden sie sich jedoch nicht mehr weiter verändern. Daher muss regelmäßig eine Steigerung der Trainingsbelastung erfolgen, um weitere Fortschritte zu erzielen.
Aus der großen Bandbreite von Steigerungssystemen wollen wir 4 Systeme miteinander vergleichen und dir praxiserprobte Methoden ans Herz legen, mit denen du schnelle Fortschritte bei deinem Training erzielen kannst.
Was steigert man beim Krafttraining?
Egal auf welchem Fitnesslevel, Steigerungen sind immer Mittel zum Zweck, um körperliche Anpassungen zu erzielen und Athleten stärker zu machen. Steigerungsmöglichkeiten gibt es unter anderem beim Trainingsgewicht, der Wiederholungsanzahl, der Satzanzahl, der Übungsanzahl, der Time Under Tension (=Anspannungsdauer eines Muskels) und der Anzahl der Trainingstage. Alle erwähnten Steigerungen führen zu einem höheren Trainingsvolumen (=Trainingsumfang), welches langfristig wohl der wichtigste Faktor, zumindest in puncto Muskelaufbautraining, ist.
Die Trainingsintensität, die vor allem bezüglich Maximalkrafttraining eine entscheidende Rolle spielt, lassen wir in diesem Artikel absichtlich außen vor, damit dieser nicht zu umfangreich wird. Wir versprechen jedoch, dass wir in Zukunft Trainingsintensitäten einen eigenen Blogbeitrag widmen werden ; )
In weiterer Folge werden wir uns darauf konzentrieren, wie man als Trainierender Gewichte und Wiederholungen kontrolliert steigern kann. Die Satzanzahl, Übungsanzahl, Time Under Tension und die Anzahl der Trainingstage sollten bereits im Vorfeld durch einen ordentlichen Trainingsplan, individuell auf den Sportler abgestimmt, auf einen gewissen Zeitraum fixiert worden sein. An diesen Schrauben sollte bei der Umsetzung des Trainingsplans nur mit viel Erfahrung oder in Absprache mit dem Trainer oder der Trainerin gedreht werden.
Steigerungssysteme
Nach festem Trainingsplan
Zuallererst wollen wir diese, bereits durch den Trainer fest eingeplante, Steigerungsmöglichkeit erwähnen. Einfache Beispiele dazu wären:
Beispiel 1
Woche 1: Lat-Zug 60kg x 10 Wiederholungen
Woche 2: Lat-Zug 62,5kg x 10 Wiederholungen
Damit ist die Steigerung des Gewichts vorgegeben.
Beispiel 2
Woche 1: Lat-Zug 60kg x 10 Wiederholungen
Woche 2: Lat-Zug 60kg x 12 Wiederholungen
Damit ist die Steigerung der Wiederholungsanzahl vorgegeben.
Für dieses System braucht es einen sehr erfahrenen Trainer, um für den Athleten sinnvolle Steigerungsschritte im Voraus planen zu können.
Eine individuelle Betreuung oder zumindest Rücksprachemöglichkeit mit dem Trainer ist dabei für Trainierende enorm wichtig, um mögliche Anpassungen vornehmen zu können, wenn das Training nicht nach Plan verläuft.
Für den Athleten ist dieses System relativ simpel, da er sich nur an die festen Vorgaben halten soll und quasi keinerlei Denkarbeit selbst verrichten muss. Ein Nachteil liegt jedoch darin, dass das System nicht flexibel auf die individuelle Tagesform und die Leistungsentwicklung des Athleten reagiert.
Nach „Gefühl“
Diese Steigerungsform wollen wir nicht unerwähnt lassen. Jedoch nicht, weil wir davon recht überzeugt wären, sondern weil wir wissen, dass dieses Steigerungssystem von sehr vielen Fitnesssportlern (insbesondere von Anfängern) praktiziert wird.
Am Trainingsplan steht ein festes Gewicht und eine feste Wiederholungsanzahl -beispielsweise 60kg x 10 Wiederholungen – und der Trainierende soll nach eigenem Ermessen steigern. Dabei soll er sich auf sein Gefühl verlassen und entweder das Gewicht oder die Wiederholungen erhöhen, sobald dies seinem Empfinden nach möglich ist.
Unserer Erfahrung nach kommt es durch diese Steigerungsmethode gehäuft zu folgenden Szenarien: Ein paar Athleten (bei Anfängern erfahrungsgemäß sehr wenige) können sich selbst gut einschätzen, steigern zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Ausmaß. Dadurch haben sie mit diesem Steigerungssystem ausgezeichnete Erfolge.
Der Großteil der Trainierenden zweifelt hingegen, ob er bereits steigern soll, geht vorerst auf Nummer sicher und bleibt lange bei den anfänglichen Vorgaben. Zu lange, denn ein Erhöhen der Wiederholungsanzahl oder des Gewichts wäre längst zielführend gewesen und das Training ist bereits ineffizient geworden.
Ein weiterer Anteil der Trainierenden, die „nach Gefühl“ steigern, fällt unter ein anderes Extrem – diese Athleten sind topmotiviert, überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten jedoch von Anfang an. Dadurch steigern sie zu früh oder in zu hohem Ausmaß, die korrekte Übungsausführung gelingt nicht mehr, und Überlastungserscheinungen oder Verletzungen sind die Folge. Diese Individuen fahren sich selbst durch übermäßigen Ehrgeiz und Selbstüberschätzung an die Wand – Männer sind diesbezüglich speziell gefährdet…
Die Eignung dieses Steigerungssystems hängt damit sehr von der Persönlichkeit des Sportlers ab und ist für viele daher nur bedingt zu empfehlen.
Nach Wiederholungen/Wiederholungsrange
Wir starten hier mit einem Beispiel:
Lat-Zug 60kg x 10-15 Wiederholungen
Bei diesem Steigerungssystem stehen am Trainingsplan keine festen Wiederholungen, sondern eine Wiederholungsrange (=Wiederholungsbereich). Der Athlet macht immer so viele Wiederholungen, wie ihm mit technisch korrekter Ausführung gerade noch möglich sind.
Schafft er in unserem Beispiel zwischen 10 und 14 Wiederholungen, bleibt er weiterhin beim gleichen Trainingsgewicht.
Sobald er 15 Wiederholungen oder mehr schafft, soll er das Gewicht beim nächsten Satz steigern – in unserem Beispiel würde diesbezüglich eine Steigerung auf 62,5kg Sinn ergeben.
Gleichzeitig hat der Athlet die Vorgabe, dass er mit dem neuen Trainingsgewicht zumindest 10 Wiederholungen schaffen muss, um mit diesem Gewicht weiterhin trainieren zu können. Falls er diese Minimalanzahl an Wiederholungen nicht (mehr) erreicht, soll er das Gewicht beim nächsten Satz wieder reduzieren.
Maßgeblich bei dieser Steigerungsmethode ist, dass man wirklich versucht an die eigene Leistungsgrenze zu gehen. Sich also nicht auf sein Gefühl verlässt, sondern einfach ausprobiert, ob noch weitere Wiederholungen möglich sind.
Vorgaben bezüglich der Wiederholungsrange können vielseitig, auf Muskelgruppen, Übungen und Ziele angepasst, eingesetzt werden. So können Wiederholungsbereiche etwa mit 5-10, 8-12 oder 12-17 Wiederholungen veranschlagt sein, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Entscheidend ist bei allen Varianten die Steigerung des Gewichts, sobald man am oberen Ende der Wiederholungsrange angekommen ist. Die absolvierte Wiederholungsanzahl ist also der Taktgeber, ab wann man Gewichte erhöht.
Damit bestimmen die individuelle Trainingsentwicklung sowie die Tagesverfassung ob und vor allem ab wann der Trainierende steigern kann. Es reguliert sich somit selbst. Außerdem ist dieses System sehr einfach aufgebaut und damit auch für Anfänger sehr gut geeignet.
Während diese Steigerungsmethode unserer Erfahrung nach für Muskelaufbaupläne von hohem Nutzen ist, ist es leider kaum beziehungsweise nur mit Abwandlungen (mittels Reps in Reserve) für Trainigspläne mit dem Ziel der Maximalkraftsteigerung geeignet.
Nach RPE
Hier kommen sogenannte RPE ins Spiel.
Beispiel 1
Lat-Zug: 5 Wiederholungen @ 10
Beispiel 2
Lat-Zug: 5 Wiederholungen @ 9
Die Abkürzung RPE steht für „Rate of Perceived Exertion“. Es handelt sich also um die wahrgenommene Anstrengung des Athleten. Diese wird wie folgt eingeteilt:
@10 – Keine weitere Wiederholung möglich
@9,5 – Eine weitere Wiederholung wäre vielleicht möglich
@9 – Eine weitere Wiederholung wäre sicher möglich
@8,5 – Zwei weitere Wiederholungen wären vielleicht möglich
@8 – Zwei weitere Wiederholungen wären sicher möglich
@7,5- Drei weitere Wiederholungen wären vielleicht möglich
@7 – Drei weitere Wiederholungen wären sicher möglich
Für den Athleten kommt es darauf an, ob sich bei der Ausführung der Trainingsübung sein Belastungsempfinden mit der Vorgabe am Trainingsplan (RPE angegeben in @…) deckt.
Wenn er also bei der Durchführung von Beispiel 2 (5 Wiederholungen @9) ein Gewicht gewählt hat, bei dem er den Eindruck hatte, dass er noch sicher eine weitere Wiederholung geschafft hätte, dann bleibt er bei diesem Gewicht.
Hätte er noch mehrere Wiederholungen geschafft, dann steigert er das Gewicht beim nächsten Satz.
Hatte er den Eindruck, dass er keine weitere Wiederholung mehr geschafft hätte (also „@10“ war) oder war es ihm gar nicht möglich 5 Wiederholungen zu absolvieren, dann reduziert er das Gewicht beim nächsten Satz.
Welches Gewicht der Athlet für den ersten Arbeitssatz auswählt ergibt sich aus bisherigen Trainingsleistungen und im Speziellen aus der vorangegangenen Trainingseinheit.
Dieses System ist also ein Mix aus erbrachter Leistung und subjektiver Einschätzung. Um beurteilen zu können, wie viele Wiederholungen man zusätzlich geschafft hätte, braucht es ein gewisses Maß an Trainingserfahrung. Vor allem für die Trainingsplanung muss man sich bereits dauerhaft mit Krafttraining und gewissen Trainingsübungen beschäftigt haben und idealerweise auf einen erfahrenen Trainer zurückgreifen können.
Deshalb ist dieses Konzept vor allem für Fortgeschrittene und Leistungssportler interessant. Sie profitieren von der Flexibilität dieses Systems, da nicht immer bis zur letztmöglichen Wiederholung trainiert werden muss und dadurch unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden können.
Exkurs für Fortgeschrittene:
Darüber hinaus hat RPE beim Maximalkrafttraining einen anderen Bezug: @8 bedeutet das ist die letzte technisch saubere Wiederholung ohne erkennbaren Sticking Point. Eine Begriffserklärung zum Sticking Point sowie zu anderen Trainingsbegriffen findest du unter: https://www.kroftstodl.at/2021/01/07/kroftstodl-duden/).
FAZIT
Steigere nicht ausschließlich nach Gefühl, sondern nach festen Vorgaben oder einem durchdachten System, das deine Leistungsentwicklung und deine Tagesverfassung miteinbezieht.
Ob Anfänger oder bereits Trainingsprofi, geeignete Steigerungssysteme sind der Quantensprung für deinen Trainingsfortschritt, den du schon immer herbeigesehnt hast.
AUTOR: Christoph Schwaiger
Steckbrief zum Autor:
Christoph Schwaiger, BSc
Gründer und Inhaber LATS.at
Sportwissenschafter, Master Personal Trainer, Dipl. Gesundheitstrainer, Staatlicher Trainer für Athletik, Fitness und Koordination
Trainerjahre… 6
Trainingsjahre… 10
Sportarten… Fitness- und Kraftsport, Freeriden, Skitouren, Bergwandern, Klettersteig, Tennis, Hindernisläufe (Spartan Race, Xletix, etc.)
Motto… Athleten ohne Trainingsplan verirren sich auf dem Weg zu ihrem Ziel
Da Kroftstodl ist für mich… eines der spannendsten Projekte in Europas Fitnesslandschaft